Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser…. so oder so ähnlich scheint das Motto zahlreicher Führungskräfte zu lauten.
Sie sind es schließlich, die sich hinterher für Fehler, Verzögerungen & Co rechtfertigen müssen. Genau hier unterliegen sie aber einem gewaltigen Denkfehler, dem sogenannten „Transparenz Paradoxon“.
Das Transparenz Paradoxon besteht aus den folgenden zwei Begriffen:
Transparenz ist die „Durchsichtigkeit“, sprich die Nachvollziehbarkeit des Verhaltens eines Individuums, zum Beispiel durch Offenlegung oder Überwachung. Für Sie als Führungskraft bedeutet Transparenz also, dass Sie jederzeit Einblicke in die Arbeit sowie den Überblick über das Verhalten Ihrer Mitarbeiter haben.
Der zweite Begriff, das „Paradoxon“, stammt aus dem Altgriechischen und beschreibt im weitesten Sinne einen Widerspruch. Genauer gesagt handelt es sich bei einem Paradoxon um eine Erscheinung, welche dem eigentlichen Verständnis auf unerwartete Weise zuwiderläuft.
Das kann die Wirksamkeit von Organisationen erheblich stören. Wir wollen im nachfolgenden Beitrag Wege aus dem Paradoxon zeigen.
Klingt kompliziert?
Hier die Erklärung am Beispiel des Transparenz Paradoxon: Als Führungskraft würden Sie prinzipiell davon ausgehen, dass Ihre Mitarbeiter fleißiger sind, produktiver arbeiten und weniger Fehler begehen, je mehr Sie diese überwachen. Der logische Gedankengang lautet also: Je mehr Transparenz, umso mehr Produktivität. Genau hier greift aber das Paradoxon. Untersuchungen haben nämlich gezeigt: Durch zu viel Transparenz sinkt die Leistung eines Mitarbeiters um bis zu 15 Prozent (Quelle: The New York Times, Bits). Genau dieser, auf den ersten Blick unlogisch wirkende, Effekt ist unser eingangs genanntes Transparenz Paradoxon.
Der Chef im Großraumbüro – Das Führungskonzept von morgen?
Nehmen wir einmal an, Sie seien eine aufstrebende, hoch motivierte Führungskraft. Sie möchten selbstverständlich durch außerordentliche Leistung glänzen, um Ihren neu gewonnenen Posten zu rechtfertigen und baldmöglichst die nächste Stufe auf der Karriereleiter zu erklimmen. Sie möchten es deshalb „besser“ machen als die Konkurrenz. Sie möchten Zielvorgaben nicht nur erreichen, sondern übertrumpfen. Sie möchten durch die geringste Fehlerquote des Unternehmens glänzen und natürlich durch gesunde, motivierte und glückliche Mitarbeiter. Sie möchten so vieles…
Was also könnten Sie Besseres tun, als mit einem strahlenden Lächeln durch die Reihen zu laufen, sich persönlich nach dem aktuellen Stand der Projekte zu erkundigen, Arbeitsfortschritte im Blick zu behalten und am besten gleich selbst mit anzupacken? Sie sind schließlich fortschrittlich und modern. Sie gehen neue Wege und kommen auf die geniale Idee, sich nicht arrogant im Einzelbüro zu verkriechen, sondern sich unter das „Volk“ zu mischen. Sie etablieren Ihren Schreibtisch also neuerdings inmitten des Großraumbüros.
Sie sind der „Chef zum Anfassen“, der „Boss Next Door“. Wenn das nicht nach dem Arbeitsplatz von morgen klingt?!
Halt! Seien Sie versichert: Sie sind nicht der erste kluge Kopf, der auf diese Idee gekommen ist. Sie wurde bereits vielfach getestet und dank des Transparenz Paradoxon meist schnell wieder verworfen.
Das Transparenz Paradoxon unter der Lupe: Wie entsteht das Phänomen?
Wenn Sie nun als Führungskraft aus der Transparenz eine ständige Kontrolle machen, ja vielleicht sogar zum neuen Schreibtischnachbarn Ihrer Mitarbeiter werden und ihnen bei jeder Gelegenheit über die Schulter blicken, werden Sie nicht erreichen, was Sie bezwecken. Was Sie fortan beobachten werden, ist nichts Anderes als Schauspielerei. Ihre Mitarbeiter haben Angst davor, Fehler zu machen, Angst vor kreativen Experimenten oder davor, faul zu wirken und ihren Job zu verlieren. Jeder will schließlich engagiert wirken, einen guten Eindruck hinterlassen und bloß nicht ersetzbar erscheinen.
Versetzen Sie sich einmal zurück in Ihre Berufsanfänge: Wie veränderte sich die Stimmung im Raum, wenn der Vorgesetzte die Tür öffnete? Waren Sie nicht auch angespannter? Wollten Sie nicht vielleicht selbst besonders fleißig wirken? Und waren Sie dabei nicht auch ebenfalls unproduktiv und sehnten den Moment herbei, als er wieder in seinem Einzelbüro verschwand?
„Viel Schein, wenig Sein“: Kontrolle schürt Angst und Angst lähmt.
Die ständige Anwesenheit der Führungskraft schürt das Gefühl der Kontrolle im Team. Wer sich kontrolliert fühlt, hat Angst. Und Angst wirkt lähmend. Je verbissener Ihre Mitarbeiter Fehler verhindern möchten, umso eher passieren sie. Je schneller sie eine Aufgabe erledigen möchten, umso mehr setzt der Zeitdruck sie unter Stress und lässt Ihre Konzentration sowie Produktivität sinken. Transparenz im Sinne von Kontrolle widerspricht dem Prinzip der Gelassenheit mit jeder Faser und lähmt die Wirksamkeit Ihrer Organisation. Gerade in der Gelassenheit liegt der Schlüssel zu mehr Produktivität, Zufriedenheit und Gesundheit. Nur so können Ihre Mitarbeiter auf Dauer leistungsfähig bleiben. Denken Sie um und lassen Sie los.
Die Lösung lautet: Vertrauen
Auflösen lässt sich das Transparenz Paradoxon nur durch Vertrauen. Verabschieden Sie sich von dem Gedanken, Ihre Mitarbeiter seien faul, sobald Sie ihnen den Rücken zukehren, gemäß dem Sprichwort: „Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.“
Gehen Sie davon aus, dass Sie kompetente, motivierte und vor allem eigenverantwortliche Mitarbeiter im Team haben. Auch diese sind daran interessiert, dass die Leistung bestmöglich erbracht wird. Schließlich möchten sie, dass es dem Unternehmen gut geht und sie hier die Chance auf eine erfolgreiche Zukunft haben. Auch sie wollen durch Leistung glänzen, eines Tages befördert werden oder in Ihre Fußstapfen treten. Klar mag es den ein oder anderen Trittbrettfahrer geben. Doch alles in allem wirkt Kontrolle produktivitätshemmend, Vertrauen hingegen leistungsfördernd.
Also braucht es im Unternehmen keine Transparenz?
Ziehen Sie nun aber keine voreiligen Schlüsse: Natürlich brauchen Sie in Ihrem Team Transparenz. Sie ist für jedes Unternehmen von unschätzbarem Wert.
Transparenz
Transparenz darf nur eben nicht mit Kontrolle gleichgesetzt werden. Denn Kontrolle führt zur reinen Simulation von Produktivität, während die wahren Zahlen in den Keller sinken.
Wie sieht dann „richtige“ Transparenz für Führungskräfte aus?
Als Führungskraft sollten Sie Transparenz vor allem in zweierlei Hinsicht praktizieren: Einerseits müssen Sie Ihren Mitarbeitern das Gefühl geben, dass sie Neues ausprobieren, eigene Ideen einbringen sowie auch hin und wieder Fehler machen dürfen, ohne dass es negative Konsequenzen haben wird. Eine positive Fehlerkultur ist hier der Schlüssel. Andererseits müssen Sie selbst ein hohes Maß an Transparenz leben.
Das bedeutet:
Je eher Ihre Mitarbeiter Sie als Führungskraft einschätzen können und einen Einblick in die Vorstellungen und Ziele der Führungsebene erhalten, umso mehr vertrauen sie Ihnen. Andererseits müssen auch Sie lernen, Ihren Angestellten zu vertrauen, um deren Produktivität zu steigern. Dadurch fördern Sie zugleich ihre Eigenverantwortung, Kreativität, Motivation und Zufriedenheit. Transparenz bedeutet im weiteren Sinne also nichts Anderes als Vertrauen und eine offene Kommunikation. Um als Führungskraft das Transparenz Paradoxon zu umgehen, sollte Ihr Motto daher lauten:
„Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!“
Bye, bye Transparenz Paradoxon: Ihr Ausblick in eine rosige Zukunft
Wenn Sie also immer noch der „Boss Next Door“ sein möchten, sollten Sie es wörtlich nehmen, hin und wieder einmal die Türe hinter sich schließen und die Mitarbeiter einfach in Ruhe lassen. Wir sagen Ihnen, was dann passiert: Die Angestellten entspannen sich, sie können selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten, fühlen sich dadurch wertgeschätzt, zufrieden und motiviert. Dies verbessert das Arbeitsklima und führt zu einer höheren Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das für das hauseigene Employer Branding ungemein wichtig.
Ihre Mitarbeiter werden mehr miteinander reden und durch diese verbesserte Kommunikation als Team zusammenwachsen. Nur im Austausch können schließlich neue Denkweisen zusammengeführt und zu einer innovativen Idee verbunden werden. Dies fördert die Kreativität und das „Wir-Gefühl“ – die Wirksamkeit Ihrer Organisation. Dadurch werden Weiterentwicklung und Fortschritt überhaupt erst möglich. Sie appellieren zudem – bewusst oder unbewusst – an den Stolz Ihrer Mitarbeiter: Wenn mir mein Chef zutraut, dass ich das allein kann, möchte ihn es ihm auch beweisen oder seine Erwartungen bestenfalls sogar noch übertreffen.
Fazit
Wir könnten diese Liste ewig weiterführen. Kurz gesagt: Richtige Transparenz und gelebtes Vertrauen machen Mitarbeiter mündig und dadurch autonomer, kreativer, motivierter und schlichtweg produktiver. Grundsätzlich leitet diese Abkehr von der reinen Kontrolle und einem hierarchieorientierten Führungsverständnis in die modernere Version von Führung. Frei nach St. Exupery ist es eher die Aufgabe der Führungskraft, den Mitarbeitern die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer zu vermitteln, als im „klein-klein“ die Verwendung des Hammers und der Nägel zu überwachen.
Insbesondere in einer Zeit, in der selbstbestimmtes Arbeiten im Rahmen einer eher visionären Zielsetzung durch gut ausgebildete und teilweise übertrieben selbstbewusste Teile der Generation Z gefordert und gewünscht wird. Damit entwickelt sich die Art der aktiven Führung im Rahmen eines „Leadership“ oder führen mit Vorbild und dem gezielten Begleiten und Entwickeln von Mitarbeitern als Persönlichkeiten zu einem Alleinstellungsmerkmal bzw. auch zu einem Entscheidungskriterium für den Einstieg bzw. den Verbleib von Hochkarätern in der Organisation.
Ich denke, dass es Zeit wird, sich vom Denkfehler „Transparenz Paradoxon“ zu verabschieden und stattdessen eine Kultur des Vertrauens und der Selbstverantwortung im Unternehmen zu etablieren. Wie geht das in Ihrer Organisation? Lassen Sie uns darüber sprechen. Wir stehen Ihnen mit unseren Erfahrungen in der Entwicklung von Organisationen und mit Change-Prozessen gern zur Seite.
Im nächsten Beitrag werden wir uns mit diesem Thema und den einfachen Grundregeln für die operative Arbeit näher beschäftigen. ....
Die Autorin
Iris Kastner-Nauke ist Expertin für Personalentwicklung und die Begleitung von Transformationsprozessen mit Blick auf die Mitarbeitenden in diesen Prozessen. Das Spektrum reicht von der Geschäftsleitung in Bildungseinrichtungen, bis zur Personalleitung in Non-Profit-Organisationen und international agierenden Industrieunternehmen.
Seit 1995 ist sie selbständig, seit 2006 als Interim-Managerin tätig. Sie ermöglicht Ihren Mandanten, die jeweiligen Transformationsprojekte oder -initiativen in den Bereichen Human Resources erfolgreich umzusetzen. Bei Bedarf übernimmt sie auch temporär die Rolle und Verantwortlichkeit von vakanten HR-Positionen.